Eine leuchtende Perle

Einige Jahre, nachdem er den Weg erlangt hatte, unterwies Xuansha die Versammelten, indem er sagte: „Die gesamte Welt der zehn Richtungen ist eine einzige leuchtende Perle.“
Eines Tages fragte ihn ein Mönch:
„Ich habe gehört, dass Ihr sagtet: ‚Die gesamte Welt der zehn Richtungen ist eine einzige leuchtende Perle.’ Wie soll ich das verstehen?“
Xuansha sprach:
„Die gesamte Welt der zehn Richtungen ist eine einzige leuchtende Perle. Was gibt es da zu verstehen?“...
Aus: Ikka Myoju, Dogen Zenji

Koans, jene „Rätsel“ des Zen erzählen etwas über unser Leben. Sie geben Zeugnis darüber ab, wie wir üben. Dabei folgen sie nicht der Alltagslogik, sondern sie sind Ausdruck der Logik des Erwachsens.

Xuansha sagt nicht: „...und wenn Du Dich genügend anstrengst, wirst Du die Perle finden.“
Wir sind die leuchtende Perle.

Wie kann dieses Erkennen, das sich durch alle Zeiten und Wahrheiten, durch alle Emotionen und Meinungen hindurchzieht, mein jetziges Handeln beeinflussen?

Die Perle ist eingewoben in das Gewand der Freiheit. Dort ruht sie im weiten Feld, sichtbar unsichtbar. Wir sollten niemals versuchen, sie an der Oberfläche zu tragen. Ob Frühjahr oder Herbst: die Perle bleibt immer sie selbst.

In dem Moment, in dem wir sie erkennen, erscheint alles in einem neuen Licht. Wenn wir sie nicht erkennen, wartet sie dennoch. Sie wartet ohnehin schon seit so vielen Jahrhunderten. Sie ist es, warum wir hier sind – ob gebrochen oder heil, ist nicht entscheidend.

Für die Perle fehlen uns die Worte. Da sich diese an Konkretem festhalten und oft an Negativem, begegnen wir einander nicht im gleichen Land.

Unsere Perle reist dennoch immer mit.

Unsere Praxis besteht darin, sie zu entdecken. Sie kann weder überreicht noch empfangen werden. Sie kann nur durch jeden von uns frei gelegt werden: und dann kullern wir miteinander um die Wette in der großen Schale dieser Welt, samt Holzmann und Steinfrau und singen: Frohe Ostern!

Gassho, Juen


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