Genug ist nicht genug

Im Rahmen unserer Erinnerungen an Thich Nhat Hanh haben wir uns vergangene Woche über seine Gedanken und Handlungsvorschläge zu einem achtsamen Leben unterhalten.

Wie konnte er, der nach außen so Sanfte, Buddhas Lehre der Vier Edlen Wahrheiten, insbesondere der ersten, „Leben ist leidvoll“, mit seinen Ermutigungen für ein glückliches und zufriedenes Leben für alle vereinen?

Einatmend beruhige ich meinen Körper
Ausatmend lächle ich
Ich verweile im gegenwärtigen Moment
Ich weiß dies ist ein wundervoller Moment

Indem er unser Gewahrsein der Formenwelt, als Wesen mit Körper, umgeben von der Welt der Objekte, immer wieder betonte. Alle spirituellen Übungen sind sich hierin einig: Meditation beginnt mit dem Körper, zunächst dem Körper an sich, seinem reichen Eigenleben, aber auch mit seinem Verhältnis, seiner Positionierung zur Außenwelt, zum unmittelbaren und zum über unser Auge hinausreichenden Raum. Wo sind meine Füße? Wie berühren sie den Boden? Wo ist mein Atem? Wie fühlt er sich an? Wie fühlt sich seine Verbindung zum Raum oberhalb des Kopfes an?

Und indem er nicht müde wurde zu betonen, dass zwar „jeden Tag Tausende Menschen, auch Kinder, an Unterernährung sterben, im Krieg oder bei Terroranschlägen“. Das ist richtig, auch heute, auch hier, auch jetzt und leider, leider immer noch. Das ist Leiden, Trennung, Kontaktverlust. Und es ist tief unten in uns verankert.

„Und doch ist der Sonnenaufgang wundervoll, und die Rose, die heute Morgen vor der Mauer blühte, ist ein Wunder“. Auch das ist richtig. Auch unser Alltag, ein ganz „normaler“ Tag, ist gefüllt mit wunderbaren, zärtlichen Momenten, die uns staunend innehalten und zutiefst dankbar machen können.

Im Zazen lernen wir, Atemzug für Atemzug, mit beiden Welten in Berührung zu kommen. Mit allen Welten. Jede Einheit auf dem Kissen ein wenig mehr. Und wir lernen, beides, alles, zu halten: den Schrecken und das Staunen, die unbändige Freude und die tiefe Verzweiflung.

Das ist Leben, unser einziges, kleines, letztendlich doch ziemlich kurzes Leben. Wir können es bis weit über den Horizont hinaus erfahren, erspüren, durchkosten und erleben. Wir beginnen in unserer kleinsten Einheit. Sie ist immer verfügbar und sie ist unendlich geduldig mit uns: unser Körper, unser Atem, unser Geist.

Noch sind wir hier, noch können wir mit diesen drei Säulen unser Haus der Gastlichkeit am Morgen öffnen und gen Abend die Rollos wieder hinunterlassen. Das ist sowohl Friedensarbeit als auch eine kleine Anleitung zum Glücklichsein, die uns dieser leise Lehrer hinterlassen hat.

„Sind wir friedvoll, sind wir glücklich, können wir lächeln und blühen wie eine Blume, und jeder Mensch in unserer Familie, in unserer Gesellschaft wird von unserem Frieden profitieren.“

Gassho, Juen


A051797-R1-25-26