Mögen alle immer gleich mutig sein!

Die einzelnen Elemente der Brahmaviharas stehen, wie so viele der einzelnen Aspekte, die vom Buddha unter den verschiedenen Überschriften zusammengefasst wurden, in wechselseitigem Austausch miteinander.
So enthält auch innerhalb der Brahmaviharas jedes einzelne Steinchen das jeweils andere und ist auf sie angewiesen.
Liebende Güte/metta und Mitgefühl/karuna können nur lebendig gehalten werden, wenn wir ein gewisses Maß an Gleichmut aufbringen.
Gleichmut wiederum benötigt die Qualität des Mitempfindens, sonst ist es kein Gleichmut, sondern Gleichgültigkeit.

Gleichmut/upekkha bedeutet wörtlich „über“ und „schauen“. Man steht auf einem Berg, um sich eine Gesamtübersicht zu verschaffen, ohne dass man sich der einen oder der anderen Seite dauerhaft zuneigt. Diese Weite kann entstehen, wenn wir einen größeren Blickwinkel wagen, als den, der sich uns häufig in der jeweiligen Situation darbietet. Gleichmut entspringt aus der Fähigkeit, zu sehen oder zu beobachten: ohne, dass wir sofort reagieren müssen oder längerfristig in unseren Gewohnheitsreaktionen verhaftet bleiben. Gleichmut auf Pali bedeutet ferner wörtlich: „in der Mitte von all diesem stehen.“
Die erste Bedeutung impliziert etwas Distanz, die für einen Überblick immer notwendig ist, die zweite jedoch beinhaltet bestmögliche Nähe, Verantwortung, Beteiligung: wir stehen mittendrin.
Gleich einem Segelschiff, dessen Mast sich zwar zur einen oder anderen Seite neigen kann, das aber durch seinen Kielballast dennoch niemals die Balance verlieren wird.

Im Deutschen verstehen wir unter Gleichmut auch Gelassenheit und Ausgeglichenheit, was wiederum die Balance anspricht oder unsere Fähigkeit, nicht zu lange in bestimmten Stimmungslagen zu verbleiben.
Die deutschen Mystiker verstanden hierunter jemanden, der „sich und die Welt gelassen hat“. Heinrich Seuse, ein Schüler Meister Eckeharts, beschrieb den gelassenen Menschen als jemanden, den kein „Vorher oder Nachher zerstreuen kann“ – er lebt in einem Augenblick: jetzt.
Für dieses „jetzt“ müssen wir zentriert sein und sollten uns daher nicht in eine der anderen Tempi verlieren.

In der buddhistischen Lehre werden bei der Beschreibung von Tugenden häufig die „nahen“ und die „fernen“ Feinde beschreiben. Ein ferner Feind von upekkha wäre daher: Hass, Groll, Gier oder „Haben wollen“.
Als nahen Feind kann man Desinteresse, Gleichgültigkeit oder unsere Abgestumpftheit bezeichnen. Hinter einer abgehobenen Attitüde kann man sich, gerade im häufig wortlosen Zen, auch verstecken. Genauso kann man sich inmitten einer Reaktion durch diesen nahen Feind zurückziehen, als vermeintlichen Schutz. So lange wir dies erkennen, ist das nicht schädlich, wenn es aber zu einer chronischen Haltung wird, dann haben wir ein Problem.
Denn upekkha bedeutet eines nie: Rückzug oder Trennung von der jeweiligen Situation oder unserem Leben insgesamt. Es bedeutet hingegen fortwährende Offenheit unserem Leben gegenüber und maximale Anstrengung, diesem so unmittelbar wie möglich zu begegnen. Es stellt eine Haltung dar, die es uns erlaubt, diesen Moment vollkommen zu erleben: das Schöne und das Hässliche; das Geliebte und das Ungeliebte; das, womit wir einverstanden und jenes, womit wir nicht einverstanden sind.

Gleichmut kann nicht erzwungen oder herbeibeordert werden. Wir können aber durch unsere Praxis dazu beitragen, dass diese in uns entstehen und wachsen kann: die Zeit, die wir auf dem Kissen investieren, ist hierfür eine gute Voraussetzung, denn unser Körper dient hierbei auch als Kiel und unsere Atmung als unser Lotse. Auf diese Weise können wir selbst in den größten Stürmen unseren Kurs halten, auch jenseits des Zendos.
Und nun: gute Fahrt in das noch junge Jahrzehnt!

Gassho,
Juen und Nanzan


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