Dankbarkeit

Im Rahmen des letzten Treffens vor unserer Herbst-Ango hatten wir uns mehrfach, auch anlässlich unserer Erfahrungen mit der aktuellen Pandemie, über Hoffnung, Trauer und Dankbarkeit ausgetauscht.
Auf den ersten Blick scheinen Trauer und Dankbarkeit nur wenig miteinander zu tun zu haben.

Über die Dankbarkeit haben wir schon oft gesprochen als eine Praxis, die zu Einsicht führen kann. Die Praxis der Dankbarkeit als einer der Wege, der uns dabei unterstützt, erwachsen zu werden.

Der Buddha spricht auch von Dankbarkeit als dem Gegenmittel der drei Geistesgifte Gier, Hass und Verblendung. Gier – oder unser „Haben-wollen“ sagen uns, dass etwas fehlt. Dankbarkeit vergewissert uns, dass wir genug haben.
Ferner fördert Dankbarkeit auch das dritte Paramita: die Geduld, bekanntlich eines der schwierigsten der Paramitas und zugleich auch ein wichtiges Bindeglied zum steten Bemühen, zu unserem Atem, zu unserem Glücklichsein.

Der Gründer unserer Schule, Dogen Zenji, schreibt in seinem Kapitel Gyoji:
Fortwährende Übung, Tag für Tag, ist die angemessenste Weise, unsere Dankbarkeit auszudrücken. Dies bedeutet, dass du ununterbrochen in der Übung bleibst, ohne einen einzigen Tag deines Lebens zu vergeuden, ohne ihn nur um deiner selbst willen zu nutzen. Warum ist dies so? Dein Leben ist die glückliche Folge der fortwährenden Übung aus der Vergangenheit. Daher solltest du deine Dankbarkeit unmittelbar zum Ausdruck bringen.

Natürlich fällt es uns in widrigen Zeiten schwer, dankbar zu sein. Und doch zeichnet sich zum Beispiel die Trauer um den Verlust eines geliebten Menschen durch einen hohen Anteil an Dankbarkeit aus: über die gemeinsame Zeit, die geteilten Erinnerungen, das Gefühl der Verbundenheit und Nähe, das in uns weiterlebt und über die vielen glücklichen Momente, die wie aus der Zeit gefallen zu sein scheinen, so nahe und greifbar sind sie im jetzigen Augenblick.
Dankbarkeit stellt eine Haltung dar, die wir bewusst immer wieder einnehmen können. Sie muss von innen kommen und kann nicht verordnet werden. Daher wird echte Dankbarkeit auch daran erkennbar sein, dass sie unser Leiden lindert. Dies tut sie auch deswegen, weil Dankbarkeit Verbindung schafft, weil sie eint und weil sie Pole zusammenfügen kann.
Das macht sie so lebendig und deswegen ist Dankbarkeit eine einfache, wirkungsstarke Praxis, mit der wir den Boden auf dem wir üben, etwas solider und zugleich um ein Vielfaches leichter werden lassen können.

Indem wir die Dankbarkeit leben, die wir nicht spüren, beginnen wir die Dankbarkeit zu spüren, die wir leben.
Bruder David Steindl-Rast


Gassho,
Juen und Nanzan


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